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"Fußnoten"
zum Glaubensbekenntnis
Was
meinen wir eigentlich, wenn wir das Wort „Gott“
gebrauchen? Es gehört zwar zu den meiststrapazierten Worten
in unserer Sprache, aber was heißt es denn wirklich? Im
Alltag kommt dieses Wort in vielerlei Bedeutungen einher: Ach
Gott, das musst du mir nicht erzählen! Allmächtiger, was
sagt denn da dein Chef? Um Gottes Willen, sag es bloß
niemand weiter! Du lieber Gott, schon halb vier! Mein Gott,
wie kann man bloß so dumm sein! Gott sei Dank, das ging noch
mal gut...
Welcher
Gott wird da eigentlich angesprochen? Ist das noch der Gott
unseres Glaubensbekenntnisses, das wir jeden Sonntag im
Gottesdienst sprechen? Gott Vater, Sohn und heiliger Geist?
Oder sind es nur einfach Redensarten, die voraussetzen, dass
es ein höheres Wesen gibt, das zur Bekräftigung unserer
mehr oder weniger gescheiten Bemerkungen herhalten muss? Und
wenn ja, warum brauchen wir überhaupt solche göttlichen
Bestätigungen unserer Alltagsreden, warum reden wir
unentwegt von Gott, wenn wir doch nur uns selber meinen?
In
diesen schlichten Redensarten, die wir alle gebrauchen,
steckt das große Problem, vor dem Menschen immer stehen,
wenn sie von Gott reden, Sie wollen ja von ihm reden, sie
müssen von ihm reden, sie brauchen ja ein Gegenüber, dem
sie das Herz ausschütten, vor dem sie klagen und weinen,
aber dem sie auch Danke sagen können, und sie müssen dieses
Gegenüber auch benennen, ihm Namen geben, damit sie es
anrufen können – aber wie können sie das angemessen tun?
Klassisch formuliert
hat dieses Problem der große Theologe Karl Barth, der gesagt
hat: Wir Menschen sollen von Gott reden. Wir sind aber
Menschen und können als solche nicht von Gott reden. Das ist
unsere Bedrängnis. Alles andere ist dagegen Kinderspiel!
Schweigen also können
wir nicht, auch wenn wir eigentlich nicht von Gott reden
können. Wir müssen uns ausdrücken, sein Geheimnis
erzählbar machen, aber wie?
Ich
denke, die beste Art, von Gott zu reden, ist die von Jesus,
der keine dogmatischen Lehrgebäude errichtet hat, der auch
keine moralischen Regelkataloge aufgestellt hat – sondern
der einfach Geschichten erzählt hat, Beispielgeschichten,
wie Menschen in einer ganz alltäglichen Situation plötzlich
mit dem Geheimnis Gott konfrontiert wurden. In all seinen
Geschichten blitzt etwas auf, etwas Grundsätzliches, das
mich mit mir selber, mit meinen Hoffnungen und Ängsten
konfrontiert, mit dem, was mich unbedingt angeht. Ein Etwas,
das die Theologen etwas unbeholfen „Transzendenz“ nennen,
das Überschreitende. Und das ist das Besondere an den
Geschichten, die Jesus erzählt. Sie wollen nicht belehren
und keine ewigen Wahrheiten verkündigen, Sie wollen aber
etwas ahnen lassen von dem Überschreitenden, von der
Transzendenz in meinem Leben... Vielleicht hat nicht jeder zu
jeder Zeit einen Sinn für solche Geschichten, aber manchmal
kommen sie einfach auf einen zu!
Ich
erinnere mich an eine Autofahrt mit meiner Nichte, damals 5
Jahre alt. Wir vertreiben uns die Zeit mit allerhand
Geplänkel, ich erzähle von einer Reise nach Griechenland
zusammen mit ihrer Mutter, meiner Schwester. Und sie fragt:
war ich da auch dabei? Nein, sage ich, damals warst du noch
gar nicht auf der Welt! Was? fragt sie ungläubig. Da war ich
noch nicht auf der Welt? Ja – wo war ich denn da? Und ich,
wenn auch nicht mit ganz reinem theologischen Gewissen: da
warst du noch im Himmel, und jetzt bist du eben da! Pause,
langes Nachdenken, und dann ein tiefer Seufzer der
Zufriedenheit: Ja - jetzt bin ich da!
Gibt
es ein schöneres Schöpferlob? Verblasst nicht der trockene
erste Artikel unseres Glaubensbekenntnisses neben diesem
glücklichen Staunen, dass ausgerechnet ich jetzt auf der
Welt bin?
Der
zweite Artikel, der von Jesus Christus, ist für mich mit
einer kleinen dicken Krankenpflegerin verbunden, einer
katholischen Ordensschwester von der Sozialstation, die für
mich und meine Mutter im wahrsten Sinn zum Christus geworden
ist in den schweren Wochen, in denen mein Vater im Sterben
lag. Sie kam jeden Tag. Und jeden Tag, wenn sie mit ihrer
pflegerischen Arbeit fertig war, fragte sie, die
Vielbeschäftigte, ob wir noch etwas Kaffee übrig hätten,
sie könne es heute brauchen... Erst hinterher, als er
gestorben war, haben wir ihren Kaffeedurst richtig
verstanden. In diesen entspannenden 10 Minuten konnten wir
uns alles von der Seele reden, was uns bedrückte, wir
konnten in Ruhe alle Fragen stellen, die der Arzt nicht hören
wollte, und sie gab immer Antwort, wich nie aus, und gab uns
auf diese ruhige, selbstverständliche Art die Kraft, die
schwere Zeit durchzuhalten... Christus für uns!
Und
eine dritte Geschichte: meine Ordination zur Pfarrerin vor 24
Jahren war eine fürchterlich trockene und langweilige
Angelegenheit. An den Gottesdienst mit feierlicher
Handauflegung und Geistübertragung habe ich fast keine
Erinnerung mehr. Meine „richtige“ Ordination war viel
früher, noch im Vikariat, wo mir als erster Seelsorgebereich
ein Wohnheim für Spätaussiedler anvertraut war. Einer
meiner ersten Besuche war bei einer alten Siebenbürgerin,
die ein schweres Leben hinter sich hatte und sich nun in der
Fremde nur schwer zurechtfand. Ihre Geschichte ging mir
damals sehr nah, ich saß lang bei ihr, hatte schwer mit der
Rührung zu kämpfen. Sicher alles ganz unprofessionell! Aber
beim Abschied nahm sie mich in den Arm und sagte einfach;
meine Schwester! Das war sie, meine „richtige“
Ordination, das war der heilige Geist, ganz ohne Zweifel!
Vielleicht kann man wirklich nur so von Gott reden, indem man
Geschichten aufspürt im eigenen Leben, die etwas
durchscheinen lassen von Gott, dem Vater, dem Sohn und dem
heiligen Geist... In solchen Geschichten wird Gott sich immer
nur spiegeln wie in einem angelaufenen Spiegel. Aber
vielleicht bekommen wir doch eine Ahnung von dem, was Gott
für uns ist, dieses Geheimnisvollste aller Menschenworte...
Gott bleibt immer der ganz andere, der Namenlose – und doch
ist er immer ganz in unserer Nähe! Amen.
Elke Münster, Hochschulpfarrerin
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